"Zwei Mädchen, vielleicht 15 Jahre alt, gingen die Museumsstraße hinunter am Abend des 23. Februar 1945." Das ist, wenn man von der Schlössle-Galerie steht, die Straße, die rechts nach oben führt zum Hilda-Gymnasium. Ein Augenzeuge berichtet ungefähr so, was er da sah: Der Feuer-Orkan begann allmählich. Er brauchte immer mehr Sauerstoff und sog Luft aus der Umgebung Richtung brennender Innenstadt. Die Kleidung der Mädchen flatterte im Wind. Auch aus der westlichen Bahnhofsunterführung, die viele THGler täglich nutzen, gibt es eine Zeugenaussage: Starker, kalter Wind habe dort durch geblasen Richtung Innenstadt. Plötzlich aber, so wieder der Zeuge aus der Museumsstraße, sei das Bohnenberger-Schlössle, das dort stand, wo vor einigen Jahren die Schlössle-Galerie gebaut wurde, auf die beiden Mädchen gestürzt und habe sie unter sich begraben!
35 Minuten lang zogen die beiden Amateur-Schauspieler (vom gleichnamigen Verein am Kulturhaus Osterfeld) und Geschichtelehrer i.R. Reinhard Kölmel (THG) und Fritz Schönthaler (Reuchlin-Gymnasium) die muxmäuschenstille 10c in ihren Bann.
Ihre szenische Lesung begann mit Daten: 1937, April, Gernika im Baskenland, Nazi-Legion Condor bombardiert Zivilbevölkerung, dasselbe in Coventry, dann der Verlust der Lufthoheit, die viermotorigen "Lancaster"-Flotten der Briten, unterstützt von Aufklärungs-"Moskitos", Pforzheim weitgehend ohne Luftabwehr etc.. Nach diesem stakkato-artigen Faktencheck folgten herzzerreißende Zeugenaussagen aus dem Inferno der Nacht, die sich jetzt genau zum 75. Mal jährt. Der Spannungsbogen der professionell gemachten Lesung endete mit der literarischen Verarbeitung des Unsagbaren in Zitaten berühmter Autoren wie Ernst Jünger, der bereits den Ersten Weltkrieg mit seinen "Stahlgewittern" so fürchterlich und abscheulich in Worte gefasst hat. Ganz am Schluss kam die Aufarbeitung des Verbrechens am Beispiel einer zufälligen Begegnung eines Pforzheimer Überlebenden Jahrzehnte später mit einem Bomberpiloten von damals, irgendwo auf einem Flughafen im Ausland. Kann man so etwas verzeihen? Ja, Versöhnung ist möglich, machten die beiden weisen Leser dem jungen Publikum unaufdringlich und anschaulich klar! Heilung ist möglich.
Die Klasse stellte Fragen nach der Lesung, zum Beispiel nach der Dauer des Wiederaufbaus. Am Ende der Stunde folgte eine Durchsage, die die gesamte Schule zu einer Schweigeminute einlud. Diese Lesung war so anschaulich, dass man vergaß, ob vorne Schauspieler sitzen oder ob die das selber so erlebt haben! Das war eine Geschichte-Stunde, die in den Köpfen tiefe Spuren hinterlassen wird, so wirkten die Schüler beim Hinausgehen!
Christian Ebinger, 21.02.2020