„Ich hatte eine sehr schöne Kindheit. Eine behütete“, erzählt Henny Berger im Interview mit Zweitzeugen e.V.
Henny wurde 1924 in Dresden geboren. Ihr Vater Max war Protestant, ihre Mutter Jüdin, Henny liebte Wandern, Turnen und Schlittschuhlaufen, mit ihren Freundinnen sah sie Mickey-Mouse-Filme im Kino ihrer Familie. Mit der Machtübernahme der NSDAP im Januar 1933 änderte sich Hennys Leben: „Ja, aber dann war es auf einmal aus! Dann kamen die Ausgrenzungen. Wir durften nicht mitturnen, schwimmen, Ausflüge machen. Bloß, weil wir jüdisch sind? […] Ich hab die Sache hier erlebt, vor den Augen der Deutschen. Da soll mir niemand sagen, er hat es nicht gewusst.“1
Am 6. Mai 2025 war Julie Wildschutz zu Gast am THG. Sie engagiert sich bei Zweitzeugen e.V. und leitete einen Workshop für 23 Schülerinnen und Schüler aus unseren 9. Klassen. Ziel des Vereins ist Geschichte weiterzutragen: die Geschichte des Holocaust – durch die Lebensgeschichten der Überlebenden. Die Mitglieder haben die Geschichten von 37 Holocaust-Überlebenden zusammengetragen und geben sie an Kinder und Jugendliche weiter, so dass sie zu „Zweitzeug*innen“ werden können.
Im 6-stündigen Workshop erzählte zunächst Frau Wildschutz Hennys Lebensgeschichte: vor der Diktatur, die Jahre der Unterdrückung und Verfolgung durch die Nazis, aber auch aus der Zeit danach. Die Jugendlichen notierten ihre Gedanken zu unterschiedlichen Momenten, die sie besonders berührten oder beeindruckten.
Da der Nationalsozialismus erst in Klasse 10 im Geschichtsunterricht behandelt wird, erhielten die Jugendlichen auch einen kurzen Überblick über die Jahre 1933-1945. Sie hörten Beispiele der NS-Gesetzgebung gegen als jüdische Menschen Verfolgte und erkannten wie brutal diese Gesetze in den Alltag der Menschen eingriffen. Zuvor hatten sie eine Liste von Aktivitäten an einem „normalen“ Tag im Jahr 2025 zusammengestellt und mussten entsetzt erkennen, wie Ausgrenzung und Verfolgung im NS-Regime solche „normalen“ Tage für Henny Brenner unmöglich machte. Jedes Gesetz führte dazu, eine Aktivität nach der anderen von der Liste streichen zu müssen. Insgesamt hatten die Nazis über 2000 antijüdische Gesetze verabschiedet, bevor sie ab 1942 mit der systematischen Ermordung von 6 Millionen Juden und Jüdinnen in ganz Europa begannen.
In einer Gruppenarbeit untersuchten die Jugendlichen antisemitische Quellen aus unterschiedlichen historischen Epochen vom Mittelalter bis heute. Viele ordneten die menschenverachtenden Texte und Bilder der Zeit des Nationalsozialismus zu – und lagen damit häufig falsch: Die Armbinde „Ungeimpft“, die dem sog. „Judenstern“ der Nazis nachempfunden wurde, stammt aus der Corona-Zeit und ist ein Beispiel von Holocaust-Relativierung. Auch ein zehn Jahre alter Songtext von Haftbefehl, der antisemitische Stereotype und Verschwörungstheorien nutzt, zeigt wie gängig Antisemitismus leider bis in die Gegenwart ist.
In einer intensiven Phase des Workshops erarbeiteten sich die Schülerinnen und Schüler anhand von Interviews die Lebensgeschichten von Leon Weintraub, Michaela Vidláková und Rolf Abrahamsohn, um sie direkt in Kleingruppen weiterzugeben – und wurden dadurch zu „Zweitzeug*innen“.
Zum Abschluss des Workshops verfassten sie Briefe und gestalteten Zeichnungen für Leon, der heute in Stockholm lebt, und Michaela, die in Prag lebt. Da Henny 2020 verstarb, schrieben manche an ihre Söhne. In den nächsten Wochen wird der Verein die Briefe an die beiden Überlebenden bzw. ihre Familien schicken.
Die Projektgruppe aus den Klassen 9a, 9b und 9c will nun gemeinsam mit Frau Hörger und Frau Knobloch Erinnerungskultur gestalten und Verantwortung übernehmen. Hier sind einige Reaktionen, Ideen und Ziele aus der Abschlussrunde des Workshops:

„Wir sind alle Menschen. Wir müssen die Geschichte kennen und verstehen, damit es nicht wieder passiert.“
„Geschichte wiederholt sich nicht, aber wir brauchen sie, um die Muster zu verstehen.“
„Wir können die Lebensgeschichten weitererzählen!“
„Damit man nicht sagen kann, dass es nie passiert sei.“
„Informieren und erklären, warum es noch aktuell ist.“
„Bei Ausgrenzung nicht wegschauen!“
„Ich finde es schön zu hören, dass so viele Menschen überlebt haben!“
Ein großes Dankeschön an die Schülerinnen und Schüler, die an diesem wichtigen Projekt mitarbeiten! Wir werden uns an weiteren Nachmittagen treffen, um Ideen zu sammeln und umzusetzen, die Geschichten der Überlebenden in unsere Schulgemeinschaft zu tragen.
Ebenfalls vielen herzlichen Dank an unseren Förderverein, der den Workshop finanziert!
Birgit Heike Knobloch, 06. Mai 2025
1 Henny Brenner im Interview mit Katharina Dierssen. S. 4-9.