Bilder von überladenen Flüchtlingsbooten und überfüllten Auffanglagern sind uns allen sehr präsent und haben in den letzten Jahren zunehmend die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Flüchtlingspolitik gelenkt. Seit dem Wegfall innereuropäischer Grenzkontrollen durch das Schengen-Abkommen ist der Schutz der EU-Außengrenze die gemeinsame Aufgabe der Mitgliedstaaten. Auch der Umgang mit Geflüchteten und Asylsuchenden ist verstärkt eine gemeinsame Aufgabe der EU-Mitgliedsländer geworden. Aus der Sicht von KritikerInnen errichtet die EU mit ihrer Politik eine „Festung Europa“, die den sich selbst auferlegten humanitären Werten widerspreche. Nicht zuletzt durch die innereuropäischen Flüchtlingsströme infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine wird eine gemeinsame Herangehensweise nochmals dringender.
Den Versuch, diese viel beschworene „europäische Lösung“ zu finden, unternahm am Mittwoch, den 28. Februar, die Klasse 11c im Rathaus Pforzheim. Im Kleinen Sitzungssaal konnten die SchülerInnen dort im Rahmen eines Planspiels einen Vormittag lang in die Rolle der VertreterInnen der EU-Mitgliedstaaten schlüpfen.
Zunächst wurden wir von Sozialbürgermeister Frank Fillbrunn begrüßt, der erläuterte, inwiefern die EU auch die Kommunalpolitik hier in Pforzheim betrifft. Anschließend führten die MitarbeiterInnen der Landeszentrale für politische Bildung, die das Planspiel anleiteten, in die Thematik ein. Nach einem Quiz zu allgemeinen Zahlen, Daten und Fakten zur EU, bei dem die SchülerInnen ihr gutes Vorwissen präsentierten, vertieften diese im Rahmen einer Stationenarbeit ihre Kenntnisse zu den Themen Flucht und Asyl. Ebenso wurde der Umgang hiermit auf EU-Ebene im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) sowie der Grenz- und Küstenschutzagentur Frontex thematisiert.
Bestens informiert konnte nun das Planspiel richtig losgehen. Um einen Sondergipfel des Europäischen Rates simulieren zu können, bekamen die SchülerInnen ihre Rollen zugewiesen und plötzlich saßen keine ElftklässlerInnen, sondern die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten am Verhandlungstisch. Mia Schaub verwandelte sich in die Präsidentin des Europäischen Rates und leitete somit die Sitzung. Auch der Kommissionspräsident ist Teil jenes Gremiums, diese Funktion übernahm Florian Wolfinger.
Nachdem sich alle in ihre jeweiligen Rollen eingearbeitet hatten, startete der Gipfel mit einer Stellungnahme der EU-Kommission und den Eingangsstatements der Mitgliedstaaten, woran sich die erste formelle Sitzung mit einer Diskussionsrunde und einer ersten Abstimmung anschloss. Die darauf folgenden informellen Verhandlungen ermöglichten den VertreterInnen der Mitgliedsländer den direkten Austausch untereinander, wodurch einerseits Kontroversen unmittelbar ausgetragen und andererseits Allianzen gebildet werden konnten. Hierbei wurden gemeinsame Anträge entwickelt, über die in der zweiten formellen Sitzung debattiert und abgestimmt wurde. Die Ratssitzung endete mit der Verkündung des Ergebnisses: Beschlossen wurden eine Stärkung des Außengrenzschutzes durch Frontex, eine Quotenregelung zur Aufnahme von Geflüchteten anhand wirtschaftlicher und sozialer Faktoren sowie proportional zur Bevölkerung und eine Abschaffung des Dublin-Systems.
Abschließend wurde das Planspiel gemeinsam ausgewertet und aus der persönlichen Perspektive der SchülerInnen reflektiert. Hier zeigte sich, dass das Planspiel als Methode, kontroverse politische Positionen anhand von simulierten Verhandlungen „spielerisch“ erlebbar zu machen, sehr positiv aufgenommen wurde. Es war auch toll zu sehen, wie sehr die SchülerInnen ihre Rollen angenommen haben und mit welcher Ernsthaftigkeit in den argumentativen Auseinandersetzungen über die aktuelle Flüchtlingspolitik diskutiert wurde.
Dominik Schütze, 28. Februar 2024