„Der 9. November 1938 war der Auftakt der Eskalation der Gewalt auf der Straße, [...] kein singuläres Ereignis, sondern Teil einer Kette von Ereignissen, einer Spirale von Tabu-Brüchen und Gewalttaten, die von der Pforzheimer Stadtgesellschaft zu spät oder gar nicht beantwortet wurden,“ wurde die heutige Stadtgesellschaft, die zum gemeinsamen Gedenken an die Reichspogromnacht heute Vormittag im Atrium des Volksbankhauses zusammengekommen war, erinnert.
In unmittelbarer Nähe unseres Schulhauses stand bis zu dieser Nacht vor 85 Jahren die Pforzheimer Synagoge. Viele von von uns führt der Schulweg vielleicht durchs Gebäude, vorbei am Bild der alten Synagoge, über den „Platz der Synagoge“, vorbei am 1967 errichteten Gedenkstein hin zum THG.
Nach Jahren der Ausgrenzung und Verfolgung musste die Pforzheimer jüdische Gemeinde in dieser Nacht erleben, wie sich „Feuerwehr, Nachbarn, Vereinskollegen, Menschen, die man lieb gewonnen hatte“ abwendeten, nicht zur Hilfe kamen - auch nicht den 23 Männern, die ins KZ Dachau verschleppt wurden. Jede Hoffnung auf Besserung war zunichte gemacht worden. Wie andernorts wurde die Pforzheimer jüdische Gemeinde nach der Zerstörung ihres Gotteshauses von den Nazis gezwungen, die Ruinen selbst abzutragen; das Grundstück wurde an eine Privatperson verkauft. Die Pogromnacht bedeutete auch „das endgültige Ende des kulturellen jüdischen Lebens in Pforzheim“.
Die diesjährige Gedenkfeier wurde von unserer Schülerin Fenella Bockmaier (8b) musikalisch am Klavier und mit Gesang stimmungsvoll und ergreifend umrahmt. Schülerinnen und Schüler des benachbarten Hilda-Gymnasiums präsentierten Ergebnisse ihrer eindrucksvollen Projektarbeit „Spurensuche Pforzheim“.
Laut einer repräsentativen Umfrage aus dem letzten Jahr hat ein Viertel unserer Bevölkerung antisemitische Vorurteile (Quelle: AJC Berlin /An allem schuld - Wie Antisemitismus funktioniert). Als Schulgemeinschaft, aber auch als Teil der Pforzheimer Stadtgesellschaft des Jahres 2023 müssen uns derartige „Dammbrüche, Tabu-Übertritte sowie das wiederholte Überschreiten roter Linien“ - damals wie heute - „wach und hellhörig“ machen, nicht nur in der Retrospektive. Noch heute müssen wir uns fragen, ob wir angesichts des Antisemitismus in unserer Gesellschaft rechtzeitig das Wort ergreifen und uns für Toleranz und Menschenwürde einsetzen. Nie wieder ist jetzt.
Birgit Heike Knobloch, 09. November 2023